Wo die Ziegen ihre Work-Life-Balance genießen
In Hittisau führen Kerstin und Christoph Schwarz einen Hof mit rund drei Dutzend Ziegen und rund einem Dutzend Kühen. Das Paar führt die Landwirtschaft nach ganzheitlichen Prinzipien und mit großer Leidenschaft. Und auch alte Traditionen werden hochgehalten.
Eine klassische Work-Life-Balance kennen Kerstin und Christoph Schwarz nicht. „Die haben bei uns nur die Kühe und Ziegen“, zeigt die 41-Jährige auf den vor kurzem fertig gestellten Stallanbau mit großen Fenstern und Zugang ins Freie. Dort drinnen lassen es sich die Geißen gut gehen. Eine reibt gerade ihr Fell an der Massagebürste, andere liegen gemütlich im Stroh und dann gibt es noch solche, die einen neugierigen Blick ins Freie wagen. Denn während sich an diesem Novembertag unten im Rheintal der Nebel sammelt, scheint in Hittisau die Sonne und taucht die Natur in ein herrliches Farbenspiel aus bunt gefärbten Bäumen. Ein Traumwetter im Spätherbst, den auch die Ziegen genießen. Was die Milch betrifft, sind sie dann durchaus spendierfreudiger. „Sie lieben es, wenn es trocken ist, nasse Füße mögen sie hingegen überhaupt nicht“, sagt die Magistra für Betriebswirtschaft und Gesundheitssport, die in der Landwirtschaft eine neue Berufung gefunden hat. Die Tochter des ehemaligen Spitzenskiläufers Hubert Berchtold, der einen Weltcupsieg im Riesentorlauf feierte, teilt sich die Arbeit mit ihrem Mann Christoph. Christoph, der seine Energie nicht nur zuhause in die eigene Zucht steckt, sondern sie auch als Obmann des Ziegenzuchtverbandes Bregenzerwald weiter nach außen trägt. Vor fünf Jahren übernahm das Paar den elterlichen Hof von Mina und Klaus Schwarz und führt ihn als Generationenbetrieb weiter.
365 Tage Arbeit im Jahr
Doch nochmals zurück zur Work-Life-Balance. In der Landwirtschaft verschwimmt diese Wortschöpfung, die ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben beschreibt. Die Arbeit in der Natur und mit den Tieren bringt hier den Ausgleich. „Einen Hof zu führen, bedeutet 365 Tage Arbeit im Jahr. Da gibt es nur selten ein freies Wochenende, Ferien oder eine Auszeit, nämlich nur dann, wenn wir Ersatz für unsere Arbeit finden“, sind sich die beiden einig. Zumal sie den Betrieb, „Käse Schwarz“, im Vollerwerb führen. „Das geht nur, wenn viel Freude, Herz und Leidenschaft dahinterstecken“, ergänzt Kerstin, die als Mutter von vier Kindern – Magdalena (11), Johanna (9), Jonas (6) und Nathalie (4) – noch einen weiteren „Fulltime-Job“ hat. Die Familie und die Arbeit mit den Tieren sind für sie auch eine Erfüllung. „Es kann einfach nicht sein, dass die Lebensmittelproduktion nur nach industriellen Aspekten gesehen wird und die Tiere auch so behandelt und gehalten werden. Sie sind Lebewesen, die eine Urverbundenheit mit der Natur haben. Da muss eine Beziehung mit ihnen da sein“, wünscht sie sich ein generelles Umdenken in der Gesellschaft. Dabei geht es auch um Wertschätzung für das, was produziert und geleistet wird. Gelebt wird ganzheitlich, denn nur so können gesunde Nahrungsmittel erzeugt werden – sei es, dass ihre Milch zu Käse oder ihr Fleisch zu Wurst verarbeitet wird. Erhältlich sind sie auf dem Wochenmarkt in Dornbirn und Hohenems, beim Verkaufskühlschrank im Lecknertal oder über ihren Online-Shop.
Traditionelle Verarbeitungsmethoden
Ihre Philosophie teilt die ganze Familie. So ist es der Anspruch, eine moderne Landwirtschaft zu führen und trotzdem in Zufriedenheit und Einklang mit der Natur zu leben, was auch alte Traditionen des Handwerks umfasst. Wenn die Familie die Sommer mit den Kühen und Ziegen sowie weiteren Tieren auf der Glockenplatte-Alpe verbringt, wird die Milch noch handgeschöpft zu Alpkäse verarbeitet. Statt mit einem mechanischen Pumpverfahren wird dabei der Käsebruch von Hand in die Formen geschöpft. Dies ermöglicht eine sorgfältige und kontrollierte Verarbeitung, die zu einem besonderen Geschmack und einer feinen Textur führt. Nur noch wenige Betriebe wenden diese Methode an. Senn Christoph Schwarz arbeitet dabei wie zu Großvaters Zeiten – die körperliche Anstrengung ist groß.
Der 36-Jährige ist das Alpleben von Kindesbeinen an gewohnt. Er war es auch, der mit den Ziegen begonnen hat. Im Alter von zwölf Jahren bekam er die erste geschenkt. Nun sind es rund drei Dutzend der Rassen weiße Saanenziege, Gämsfarbige Gebirgsziege und Bunte Edelziege. Als universelles Nutztier ist die Ziege Milch- und Fleischlieferant gleichermaßen und leistet auch in der Landschaftspflege unersetzbare Dienste. Ziegen weiden auf ganz steilen Hängen, während Kühe auf anderen Weideflächen grasen. „Für uns ist dies deshalb eine ideale Kombination“, erklären die beiden. Für das Melken der Ziegen, das zweimal pro Tag erfolgt, ist Kerstin zuständig. Rund drei bis vier Liter Milch gibt eine Geiß täglich, wobei die Tiere durchaus auch ihre Launen haben. Nicht umsonst spricht man umgangssprachlich von „zickig sein“. Nur gut, dass sie auf der Sonnenseite am Hof in Hittisau-Bolgenach leben, der auf direktem Wege ins Lecknertal liegt. Bereits vor 25 Jahren errichteten Klaus und Mina Schwarz einen 420 Quadratmeter großen Laufstall für die Kühe – es war der erste in der Gegend. Vor fünf Jahren wurde dann der Ziegenstall erneuert, der nun nochmals vergrößert und mit mehr Komfort versehen wurde. Kerstin Schwarz, die sich selbst als „Geißen-Heidi“ bezeichnet, schaut mehrmals am Tag nach dem Wohlergehen der Ziegen.
„Mutterschutz“ für die Ziegen
Für die trächtigen Tiere gibt es einen „Mutterschutz“, wie sie es nennt. Rund 150 Tage beträgt die Tragezeit, die letzten zwei Monate werden die Geißen nicht mehr gemolken. Der eigene Nachwuchs wird selbst großgezogen, die Kitze dürfen die ersten paar Wochen bei ihren Müttern verbleiben. Um jenen Tieren, die zu Fleisch verarbeitet werden, jeglichen Stress zu ersparen, erfolgt die Schlachtung in der Dorfmetzgerei praktisch ums Eck. Die Nutzung der Tiere für die Lebensmittelproduktion gehört zu einem landwirtschaftlichen Betrieb dazu. Wichtig ist, dass der Respekt vor dem Lebewesen gegeben ist und auf die Bedürfnisse der Ziegen geachtet wird. Kerstin Schwarz und ihr Ehegatte schauen ganz genau darauf. „Sie sollen sich in allen Belangen wohlfühlen“, betont die 41-Jährige. Sie erzählt, dass ihre Ziegen sich immer über ein spezielles „Schokolädchen“ – ein Kraftfutter – freuen. Und über die Work-Life-Balance sowieso. Da gibt’s absolut nichts zu meckern.