Vollmundige Leidenschaft für das süße Gold
Martina Pinzger ist nicht nur Imkerin aus Leidenschaft, sondern eine von lediglich 32 Honigsensoriker:innen in Österreich – und das ist längst nicht alles. Sie ist auch Wanderlehrerin, Apitherapeutin und Bienenproduktreferentin. Eine Frau, für die das Leben mit ihren Bienen weit mehr als nur ein Hobby ist.
Wenn Martina am Morgen in ihrem Haus in Buch am Frühstückstisch sitzt, in ihren weitläufigen Naturgarten blickt und dabei genüsslich einen Bissen von einem feinen Stück Zopf mit Waldhonig nimmt, dann schmeckt sie nicht nur die Süße ihres liebsten Brotaufstrichs, sondern all seine Facetten: das Malzige, das Würzig-Herbe und das Kräftige, das diesen Honig so einzigartig macht. Martina ist Honigsensorikerin und fasziniert vom
Lebewesen Biene und seinen Fähigkeiten und Produkten.
Aber das war nicht immer so. Die gebürtige Tirolerin hat einen ungewöhnlichen Weg hinter sich. Vom Bergbauernhof in Fließ kam sie mit vierzehn Jahren nach Vorarlberg, um die HTL Dornbirn für Modedesign zu absolvieren. Nach einem Zwischenjahr in der Schweiz, entdeckte sie ihre Begeisterung für Feinmechanik und machte eine Ausbildung zur Instrumentoptikerin. Später folgten Berufsjahre und Ausbildungen im internationalen Supply-Chain-Management. „Ein Leben aus Daten, Fakten, Zahlen und Projekten – ganz anders als jetzt“, wie sie sagt.
Eine Begegnung mit einem verstoßenen Rehkitz, das sie großzog, brachte sie zurück zum Leben mit der Natur. Und ein Marillenbaum in ihrem Garten in Buch, der kaum Früchte trug, führte sie schließlich zu den Honigbienen. Denn bei einer Ausstellung des Vorarlberger Imkervereins im Jahr 2010 fand Martina in ihnen die Lösung. Seitdem ist die Faszination für die fleißigen Bestäuber groß. Mit zwei Völkern startete sie im darauffolgenden Jahr, unterstützt durch Alfons Mohr, ihren sogenannten „Bienengötti“, der sie in alle Grundschritte des Handwerks einführte. „Damals sagte man oft zu blauäugig, wie einfach es sei zu imkern, aber es ist eine Handwerkskunst, die viel Wissen, Geduld und Erfahrung braucht. Man wird zwar gut unterstützt und auch finanziell gefördert, dennoch darf man es nicht unterschätzen.“
Die Sprache des Honigs
Mit den Jahren wurde aus der Neugier eine Leidenschaft. Bei den Imkertreffen geht es oft nur um Ertrag und Menge, doch Martina ließ die Frage nach der Qualität und dem Geschmack des Honigs nicht los. Also machte sie die Sensorik zu ihrem Thema, besuchte Weiterbildungen und Vorträge und erhielt schließlich 2022 die besondere Ehre, die Ausbildung zur „Wanderlehrerin“ zu absolvieren. „Wanderlehrer“ ist ein ganz besonderer Begriff in der Imkerei, er geht bis ins Jahr 1774 auf Maria Theresia zurück. Sie war es, die die erste Imkerschule Österreichs ins Leben rief und die hohe Relevanz des Berufsstandes erkannte. Wanderlehrer:innen sollten das spezielle Handwerk weitertragen und ihr Wissen mit Imker:innen und der Bevölkerung teilen. Österreichweit gibt es 250 Wanderlehrer:innen, in Vorarlberg sind es nur 15.
Von einer Frau mit Weitblick zur nächsten. In ihren Kursen, Workshops und Vorträgen vermittelt Martina dieses Wissen an Imker:innen, aber auch an Konsument:innen, die wissen wollen, was in ihrem Honigglas steckt. Denn gerade in Zeiten der zunehmenden Honigfälschungen ist ihre Aufklärungsarbeit wichtig: „Honig ist kein Zucker“, betont sie. „Er ist ein äußerst wertvolles Naturprodukt mit über 197 verschiedenen Inhaltsstoffen wie Spurenelementen, 22 verschiedenen Zuckerarten, Mineralstoffen, Vitaminen, Aminosäuren und Enzymen – also ein riesiger Blumenstrauß an Inhaltsstoffen.“ Doch auch für Profis ist es oft nicht leicht, „die Spreu vom Weizen“ im Honigglas zu trennen. Umso wichtiger ist es, auf regionale Honigprodukte zu setzen. Besonders der österreichische Honig wird streng kontrolliert. Dabei zeichnet sich auch der Vorarlberger Honig aus. „Wir haben im Ländle großartigen Honig. Von der Seenähe auf 400 Metern bis hinauf auf 1.800 Meter – wir haben alles: Gebirge, Seen, Flachland, eine vielseitige Flora und somit eine breite Palette an Trachtquellen für die Bienen. Das ergibt qualitativ hochwertigen Honig“, schwärmt Martina über die mengenmäßig kleinen, aber vielseitigen Möglichkeiten im Ländle. „Auch ganz besondere sortenreine Honige sind je nach Trachtjahr möglich: der goldgelbe Löwenzahnhonig, der wasserhelle, süße und blumige Alpenrosenhonig oder der harzig-würzige Tannenhonig. Jede Honigvariante hat ihren ganz eigenen Geschmack, ihre eigene Farbe und Konsistenz – ein süß-würziger Schmelz, der auf der Zunge zergeht und je nach Region anders schmeckt.“ Hier erkennt man den geschulten Gaumen der zertifizierten Honigsensorikerin, die seit 2022 auch im Auszeichnungsteam bei der Direktvermarkter-Messe in Wieselburg die besten Honige Österreichs kürt. Generell engagiert sie sich österreichweit für den heimischen Honig und freut sich umso mehr, dass immer mehr Frauen in das Handwerk der Bienenwirtschaft eintauchen.
Von der Biene zur Botschaft
Heute betreut die 55-Jährige neben rund zwanzig Bienenvölkern auch Ziegen, Wachteln, Hühner und Hasen direkt auf ihrem Grundstück im Bregenzerwald. Dennoch verliert sie nie den Blick für das Kleine. Sie beobachtet das Flugloch, erkennt am ersten Pollenflug, ob bei den Bienen alles in Ordnung ist, und weiß, wann der Föhn die Bienen zu früh aus dem Stock lockt. „Je länger ich mit den Bienen arbeite, desto mehr Achtung habe ich vor ihnen. Sie sind Faszination pur“, sagt die Bienenreferentin. Ihre Arbeit ist geprägt von Respekt und Achtsamkeit. Dennoch ist es auch für erfahrene Imker:innen immer wieder eine Herausforderung, alle Völker durch den Winter zu bringen und die Varroamilbe fernzuhalten. Denn ohne Imker:innen würden die Honigbienen nicht überleben. Auch die Klimaveränderungen machen die Arbeit oft unberechenbar: Milde Winter, späte Kälteeinbrüche im Frühjahr und viel Regen (besonders in Vorarlberg) fordern ein gutes Gespür. So variiert nicht nur der Ertrag, sondern auch der Honig jedes Jahr. „Das ist das Schöne: Kein Glas gleicht dem anderen. Honig erzählt jedes Jahr eine neue Geschichte.“
Ihren Auftrag als Referentin nimmt Martina sehr ernst und sie zeigt den unschätzbaren Wert des Honigs und aller weiteren Produkte wie Bienenwachs, Propolistinktur, Bienenpollen, Propolis-Creme, Lippenbalsam und verschiedene Oxymel`s, die sie ebenfalls selbst herstellt. „Honig ist ein Lebensmittel, das uns schon seit Jahrtausenden begleitet.“ Dabei geht es ihr nicht nur um Wissensvermittlung mit Zahlen und Fakten wie früher in ihrem alten Job, sondern auch um Begeisterung, um die Vielseitigkeit der Bienenprodukte und ihre fördernde Wirkung auf die Umwelt und den Menschen. Während in Martinas Garten langsam die Winterruhe einkehrt und die Bienen im Stock bleiben, arbeitet sie fleißig daran, ihr Wissen und ihre Leidenschaft weiterzugeben.