Wir haben für das luag Magazin bei Prof. Dr. Wilhelm Windisch, ehemaliger Ordinarius für Tierernährung an der Technischen Universität München, „nochgfrogt“. Der Mittelpunkt seiner Arbeit umfasst die Ernährung von Nutztieren zum Zwecke der Gewinnung von Lebensmitteln tierischer Herkunft. Unter anderem ist auch die Umweltwirkung der Nutztierfütterung einer seiner Schwerpunkte. In unserem Interview erklärt der Professor, warum Nutztiere für eine klimaschonende Lebensmittelproduktion wichtig sind.
Guten Tag, Prof. Windisch. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen für unser Interview. Können Sie uns kurz erklären, warum die Landwirtschaft mit Nutztierhaltung so wichtig für unsere Ernährung ist?
Prof. Dr. Windisch: Landwirtschaft und Nutztierhaltung sind die Basis unserer Ernährung. Sie liefern uns nicht nur Grundnahrungsmittel wie Getreide und Gemüse, sondern auch wichtige tierische Produkte wie Milch, Fleisch und Eier. Nutztiere spielen eine wichtige Rolle, weil sie Pflanzenreste, die wir nicht essen können, in wertvolle Nahrungsmittel umwandeln. So wird aus Gras und Stroh zum Beispiel Milch und Fleisch.
Sie haben kürzlich über die Vereinbarkeit von Klimaneutralität und Wiederkäuerhaltung gesprochen. Können Sie uns kurz erklären, warum diese beiden Konzepte kein Widerspruch sind?
Prof. Dr. Windisch: Der Schlüssel liegt darin, wie wir die landwirtschaftlichen Ressourcen nutzen. Wiederkäuer wie Kühe und Schafe haben die einzigartige Fähigkeit, nicht essbare Pflanzenbiomasse in wertvolle Lebensmittel wie Milch und Fleisch umzuwandeln. Diese Fähigkeit ist besonders wichtig, da ein erheblicher Teil der globalen landwirtschaftlichen Fläche nicht für den Anbau von menschlicher Nahrung geeignet ist. Stattdessen wächst dort Grasland, das von Wiederkäuern genutzt werden kann, ohne in direkte Nahrungskonkurrenz zu treten.
Können Sie uns mehr über die Rolle der nicht essbaren Biomasse in diesem Kreislauf erzählen?
Prof. Dr. Windisch: Bei der Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln entsteht eine große Menge an nicht essbarer Biomasse, wie zum Beispiel Stroh oder Reste aus der Verarbeitung von Getreide und Ölsaaten. Diese Biomasse enthält wichtige Nährstoffe, die wieder in den Boden zurückgeführt werden müssen. Eine Möglichkeit ist die direkte Zurückführung über Kompostierung oder indirekt über die Vergärung zu Biogas. Eine andere, effizientere Methode ist die Verfütterung an Wiederkäuer. Diese Tiere wandeln die nicht essbare Biomasse in hochwertige Lebensmittel um und produzieren gleichzeitig natürlichen Dünger, der wiederum die Bodenfruchtbarkeit verbessert.
Wichtig ist, dass wir die gesamte landwirtschaftliche Produktion in einen nachhaltigen Kreislauf integrieren und die Nahrungskonkurrenz minimieren.
Prof. Dr. Wilhelm Windisch
Sie sprechen immer wieder von einem „Zero-Waste“-Ansatz in der Landwirtschaft. Wie funktioniert dieser?
Prof. Dr. Windisch: Der „Zero-Waste“-Ansatz basiert genau darauf, dass alles in der Landwirtschaft auf Biomasse beruht und nichts verschwendet wird. Das bedeutet, dass alle Teile der Pflanze, die nicht direkt als menschliche Nahrung genutzt werden können, bestmöglich anderweitig genutzt und danach in den Kreislauf zurückgeführt werden. Zum Beispiel wird bei der Produktion von Haferdrinks nur ein Bruchteil, genauer gesagt etwa ein Sechstel der Biomasse einschließlich des Strohs tatsächlich in das Endprodukt umgewandelt, während der Großteil als Nebenprodukt übrig bleibt. Dieses Nebenprodukt kann hervorragend als Futtermittel für Wiederkäuer verwendet werden. Ein weiteres Beispiel ist die Glutenextraktion aus Mehl. In diesem Verfahren wird Seitan produziert, das in vielen veganen Ersatzprodukten Verwendung findet. Aus einem Korn gewinnt man etwa 10% Gluten, während 90% als abgereichertes Produkt übrig bleibt, das nur mehr als Futtermittel für Wiederkäuer verwendet werden kann. Wenn man das ganze Korn nutzt und zu Brot verarbeitet, kann man damit direkt Menschen ernähren, ohne diese vielen Nebenprodukte zu erhalten.
Sie sprechen da ein spannendes Thema an: den Vergleich von veganer und tierischer Ernährung. Können Sie uns hierzu noch mehr erzählen?
Prof. Dr. Windisch: Die Produktion von veganen Lebensmitteln steht immer am Beginn des Kreislaufes, ist aber oft mit der Erzeugung großer Mengen an nicht essbarer Biomasse verbunden. Die Beispiele habe ich Ihnen bereits genannt. In diesem Zusammenhang ist die Haltung von Wiederkäuern besonders effizient, da sie diese Restbiomasse in Nahrungsmittel umwandeln können. Diese Form der Verwertung schließt den Kreislauf und sorgt dafür, dass weniger Abfall entsteht.
Auch im Vergleich zu Geflügel und Schweinen, die ebenfalls zur Fleischproduktion genutzt werden, sind Wiederkäuer vorteilhaft, da sie weniger in direkte Nahrungskonkurrenz mit Menschen treten. Berechnungen zeigen sehr deutlich, dass dieser Kreislauf für die Ernährung der Weltbevölkerung enorm wichtig ist: Durch die Verwertung der Restbiomasse werden sowohl zusätzliche Lebensmittel wie Fleisch und Milch als auch wirksamer Dünger in Form von Mist produziert. Das wiederum führt zu höherem Ertrag bei veganen Lebensmitteln. Somit werden 50% mehr Nahrungsmittel produziert, als bei reiner Umwandlung der Biomasse in Biogas und Gärrest als Dünger.
Wird die Frage der Nahrungskonkurrenz in Zukunft noch an Relevanz gewinnen?
Prof. Dr. Windisch: Absolut. Die Weltbevölkerung wächst stetig, und die verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen werden knapper. Daher müssen wir sicherstellen, dass wir die vorhandene Biomasse so effizient wie möglich nutzen. Das bedeutet, dass wir essbare Biomasse nicht mehr in dem Ausmaß an Tiere verfüttern sollten, die in direkter Nahrungskonkurrenz zu Menschen stehen, wie es bisher geschehen ist. Stattdessen sollten wir auf Systeme setzen, die die vorhandene Biomasse so effizient wie möglich nutzen.
Wie stehen Sie zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks der Landwirtschaft und ihrer Produkte?
Prof. Dr. Windisch: Der Vergleich des CO2-Fußabdrucks verschiedener Produkte oder Branchen greift aus meiner Sicht zu kurz. Die derzeit verbreitete Form der Berechnung mit Hilfe des CO2- Äquivalents ist aus meiner Sicht nicht ideal. Es simplifiziert die Berechnung und lässt sich im Umkehrschluss auf komplexe Zusammenhänge nicht mehr passend anwenden. Auch der Einfluss von Methan auf das Klima wird in der aktuell gängigen Berechnung sehr hoch bewertet. Es wird jedoch nicht berücksichtigt, dass Methan wesentlich schneller abgebaut wird und sich der Ausstoß des Gases von Wiederkäuern in den letzten 130 Jahren kaum verändert hat – ganz im Gegensatz zu CO2-Emissionen. Eine Abschaffung der Wiederkäuer hätte in diesem Zusammenhang eine geringe Auswirkung auf den Klimawandel. Die Umkehr von der bestehenden Berechnungsform sehe ich jedoch auf Grund der weiten Verbreitung als sehr schwierig an.
Ein weiterer Punkt, der mich an der Berechnung oft stört, ist das Verständnis der Zuordnung zu einzelnen Produkten. Ziehen wir wieder das Bespiel des Haferdrinks heran. Der Hafer wird für die Produktion dieses Getränks angebaut, nur ein Sechstel wird jedoch verwendet und entsprechend auch nur dieser Anteil der beim Anbau der Pflanze verursachten Treibhausgase dem CO2-Fußabdruck des Haferdrinks zugeordnet. Werden die restlichen fünf Sechstel Biomasse an Wiederkäuer verfüttert, erhöht sich entsprechend der Fußabdruck von Fleisch oder Milch, obwohl hier ein Abfallprodukt der Haferdrink-Produktion sinnhaft verwendet wird. Oder ganz provokativ gefragt: Wo würden die fünf Sechstel Treibhausgase eingerechnet, wenn wir Biomasse einfach wegwerfen?
Was sind die nächsten Schritte, um eine nachhaltige und klimafreundliche Landwirtschaft zu fördern?
Prof. Dr. Windisch: Wir müssen weiter in die Forschung und Entwicklung investieren, um die Futtereffizienz zu maximieren und die Emissionen zu minimieren. Das bedeutet auch, dass wir standortgerechte Landwirtschaft betreiben müssen, wie es in Österreich mit einem hohen Anteil an Grünlandflächen der Fall ist. In Österreich bestehen etwa 50% der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus Grünland, in Vorarlberg sogar 60-65%. Auf diesen Flächen kann die Haltung von Wiederkäuern weiterhin eine wichtige Rolle spielen, ohne dass wir auf Fleisch verzichten müssen. Grünland bindet zudem CO2 und trägt somit zum Klimaschutz bei. Wichtig ist, dass wir die gesamte landwirtschaftliche Produktion in einen nachhaltigen Kreislauf integrieren und die Nahrungskonkurrenz minimieren.
Vielen Dank, Herr Professor Windisch, für diese aufschlussreichen Erklärungen. Es war sehr interessant zu hören, wie Klimaneutralität und Wiederkäuerhaltung Hand in Hand gehen können.
Prof. Windisch: Danke, es war mir eine Freude.
Prof. Dr. Wilhelm Windisch
- Geboren 1958
- Professor für Tierernährung an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), 2002 – 2010
- Ordinarius an der Technischen Universität München (TUM), 2010 – 2022