Reinhold Kräutler war einer der ersten, der in Vorarlberg mit der Mutterkuhhaltung begann. Er entschied sich dabei für Angus-Rinder. Mittlerweile ist der Koblacher zum Experten geworden, der sich neben seiner Tätigkeit als Landwirt auch um das Qualitäts-Management kümmert.
Als sich Reinhold Kräutler Anfang der 1990er Jahre eine einjährige Auszeit in den USA gönnte, kam er zum ersten Mal mit der extensiven Mutterkuhhaltung in Berührung. „In Amerika habe ich auch gelernt was ein gutes Steak und ein anständiges Fleisch ist. So etwas fehlte bei uns.“ Von der Idee begeistert, dachte sich der auf einem landwirtschaftlich genutzten Hof in Koblach aufgewachsene 55-Jährige, dass das auch etwas für ihn sei. Zunächst blieb es noch beim Gedanken, doch als er im Mai 1994 seinen ganzen Bestand wegen der Viruserkrankung IBR keulen musste, stellte er endgültig vom klassischen Milchviehbetrieb auf Angus-Rinder um. Und wurde damit zu einem Pionier im Ländle. Er kaufte sich ganze vier Stück der aus Schottland stammenden Fleischrasse. Im Jahr 1998 stellte er dann auf einen Bio-Betrieb um. Fast drei Jahrzehnte später ist Kräutler zum Experten geworden, der sich landesweit und darüber hinaus für die Vermarktung von Bio-Weiderind-Qualitätsfleisch engagiert.
Er arbeitet dabei vor allem mit der Metzgerei Broger und der Lebensmittelkette Sutterlüty zusammen. In Vorarlberg hat er die Koordination für die Schlachtung übernommen, organisiert Termine und führt auch die Kontrolle der Tiere durch. „Sie müssen in einem gewissen Zeitraster gewogen werden, weil das Programm genau vorschreibt, wie schwer die Tiere höchstens sein dürfen, wenn sie zum Metzger kommen“, erklärt er das System. Kräutler bringt es auf den Punkt: „Das Maximalgewicht darf 650 Kilo nicht überschreiten und sie dürfen auch nicht älter als 27 Monate sein.“
Zuerst muss der Bauer lernen und dann das Vieh
Reinhold Kräutler
Kontakt mit den Rindern
Das Fleisch des Angus-Rindes ist begehrt, gilt es doch wegen der relativ langsamen Gewichtszunahme als besonders feinfaserig und gut marmoriert. Es wird als echte Delikatesse geschätzt und vor allem für Steaks verwendet. Zudem gelten die genetisch hornlosen Rinder als sehr genügsam und umgänglich. Sie eignen sich dadurch auch ideal für die Mutterkuhhaltung. Acht bis neun Monate bleiben die Kälber bei ihren Müttern – erst dann werden sie in die Herde integriert. Im Laufe der Jahre hat der ehemalige Berufskraftfahrer viel Gespür und Gefühl für die bulligen Tiere entwickelt. Der persönliche Kontakt mit der Herde ist ihm wichtig und fast schon könnte man ihn als eine Art Rinder-Flüsterer bezeichnen. So bringt er bei Bedarf auch anderen Landwirten den richtigen Umgang mit ihnen bei. „Zuerst muss der Bauer lernen und dann das Vieh“, lautet sein Leitspruch.
Wäre er damals in Amerika geblieben, hätte der Mittfünfziger wohl eine Karriere als Cowboy eingeschlagen. „Ich weiß sogar, wie man ein Lasso wirft“, sagt er lachend. Ohne, dass er es in seiner Herde, die aus rund 45 Rindern besteht, einsetzen würde. Um bei der Mutterkuhhaltung die Jungtiere auch an ihn zu gewöhnen, verwendet er anfangs einen Strick als Hilfsmittel. „Man muss ihn so binden, dass sie mit den Hinterbeinen draufsteigen und darauf reagieren. Steigen sie mit den Vorderbeinen drauf, durchschauen sie das“, erklärt der Experte seinen Trick. Ziel ist es, dass die Tiere an der „Leine laufen“ lernen, was
meist innerhalb weniger Tage geschieht.
Im Sommer auf der Alp
Im großen Laufstall ist genügend Platz für Bewegung und Auslauf. Hinzu kommt, dass sie im Sommer auf die Alpe Untersehren in Dornbirn gebracht werden. Gemeinsam mit anderen Herden sowie mit „Reini“ verbringen sie die warme Jahreszeit auf fast 1.300 Meter Höhe. Auch der Koblacher genießt diese Zeit. Das Leben in und mit der Natur hat den Vater von zwei Söhnen geprägt. Und sie entpuppte sich in seinem Leben immer wieder als guter Lehrmeister. Nicht nur für ihn, sondern auch für seine Herde. „Man muss einfach genau hinschauen, dann kommt man schon drauf, was die Tiere brauchen“, hat er gelernt, alles genau zu beobachten. Beispielsweise reagiert das Immunsystem der Rinder, wenn sie mit fremden Herden zusammen sind, wie es auf der Alpe der Fall ist.
Dabei machte der Absolvent der Landwirtschaftsschule, die Kräutler scherzhaft als „Kälber-Akademie“ bezeichnet, eine einzigartige Entdeckung. „Eines Tages machte ich ein Feuer und ich merkte, dass einige Tiere dort später Kohlestücke rausgefischt haben.“ Zunächst überlegte Kräutler noch, warum die Rinder das machten. Bis es ihm im wahrsten Sinne des Wortes zündete. „Es ist gut für ihren Darm.“ Seitdem bietet er ihnen stets Holzkohle an. „Durchfall bei den Tieren kenne ich seitdem nicht mehr.“ Im Stall hängt zudem noch Stechlaub, dessen ätherische Öle für das Fell der Rinder gut sind.
Er zeigt auf einen Ochsen, der sich als Kalb das rechte Bein fünffach gebrochen hat. „Normalerweise würde so ein Tier eingeschläfert, aber das wollte ich nicht. Stattdessen wurde es gegipst und heute hat er keine Probleme mehr mit dem Bein.“ Bio bedeutet für ihn eben auch, ganzheitlich auf die Tiere zu schauen. Freilich endet ihr Leben – wenn sie nicht für die Zucht verwendet werden – etwa nach zwei Jahren im Schlachtbetrieb Gstach in Rankweil. Die Fahrt von Koblach dauert maximal 15 Minuten. Auch hier schaut Kräutler, dass er den letzten Weg mit ihnen geht. Bio bedeutet für ihn eben Verantwortung vom Anfang bis zum Ende.